Gemessen an Land und Leuten ist Österreich so ziemlich die erfolgreichste Nation in der Formel 1. Vier Weltmeistertitel auf acht Millionen Einwohner. Nur Finnland weist in dieser Kategorie ein noch günstigeres Verhältnis auf (drei auf etwa fünf Millionen), was durch die Weite des Landes zwar gehörig relativiert wird, selbiges aber außerdem Raum genug für waghalsige Drifts gibt, um auch im Rallye-Sport ganz vorne mitmischen zu können. Den Vorteil, die engen und kurvenreichen Bergstraßen als Testgelände zu nutzen, lässt der österreichische Renn-Nachwuchs mittlerweile weitgehend ungenutzt, sieht man von einigen jugendlichen Leichtsinnigkeiten ab, die Jahr für Jahr die Unfall- und Opferbilanzen aufmöbeln. Finden wir uns also damit ab, dass wir ein Land jener Bleifüße sind, die die ebenen zwei- oder dreispurigen Weiten des Asphalts bevorzugen.
Da in Österreichs kleiner Welt die große ihre Probe hält, wird man hierzulande mancherorts 24-, 32- oder 60-fach verkleinert nachstellen, was zum Auftakt der diesjährigen Formel-1-Saison im Großen über die Piste fegt. Was nach minimondialer Ersatzbefriedigung klingt, ist der Versuch des Mannes, das Kind in ihm zu bändigen (Frauen greifen vereinzelt auch ins Geschehen ein, aber eher, um dem Freund eine Freude zu machen oder aus emanzipatorischen Beweggründen, was ihnen eine ähnliche Exotik verleiht wie der ehemaligen Anwesenheit einer Lella Lombardi oder Giovanna Amati unter den Großen).
Wovon hier die Rede ist, nennt sich Slotcar-Racing, jenes Spiel, das sich seinerzeit aus jungenhaftem Widerstand gegen die väterliche Modelleisenbahn entwickelt hat. Als den Massenverkehrsmitteln dank steigendem Wohlstand und zunehmender Kaufkraft mehr und mehr die Individualmotorisierung, vulgo Auto, den Rang ablief, hofften die kleinen Buben auf Geburtstag oder Weihnachten, damit in den Zeiten der Wünsche der sehnlichste erfüllt würde: die eigene Autorennbahn. Der zuständige Mann dafür saß damals in Nürnberg/Fürth, hieß Dr. Hermann Neuhierl und hatte dem Objekt bubenhafter Begierde einen Namen gegeben: Carrera.
Anfang der Sechzigerjahre, so wird erzählt, erschien Neuhierl in der Rennabteilung von Zuffenhausen und bat um Unterlagen für den Porsche Carrera zwecks Vorbild getreuer Modellumsetzung. Die Firma trug damals noch die Initialen des Firmengründers, hieß JNF (Johann Neuhierl Fürth) und stellte seit 1920 hochwertiges Blechspielzeug her. Als Josef Neuhierl 1957 starb und sein Sohn Hermann mit 29 Jahren die Firma übernahm, war Blech am Spielwarenmarkt bereits altes Eisen. Der promovierte Chemiker investierte in neue Fabrikationsanlagen zur Verarbeitung von Kunststoffen und hatte in der Spielzeugautorennbahn schnell ein Produkt erkannt, das über ein unglaubliches Wachstumspotenzial verfügte.
Durch Strom angetriebene und per Handregler beschleunigte und gebremste Modellautos fahren auf ineinander gesteckten Kunststoffplatten, aus deren geraden oder gebogenen Formen sich der Bahnverlauf ergibt. Die Spur gibt der so genannte Slot (Schlitz) vor, in dem der Wagen mittels eines aus der Unterseite hervorstehenden Kunststoffzäpfchens, dem Leitkiel, geführt, jedoch nicht vor dem Hinausfliegen bei zu hohen Kurvengeschwindigkeiten gehindert wird, was den Reiz und die Kunst dieses Spiels ausmacht. Bei jenem Treffen mit den Porsche-Männern wurde auch der passende Markennamen gefunden, heißt doch "Carrera" auf Spanisch nichts anderes als "Autorennen", und das prominenteste gab es wohl in Übersee, die Carrera Panamericana Mexicana, bei der deutsche Marken teils überlegen, manchmal spektakulär reüssierten.
In Windeseile und rastloser Schaffenskraft entwickelte Carrera ab 1963, als die erste Autorennbahn fürs Kinderzimmer erstanden werden konnte, all das, was in mehr oder weniger abgeänderter Form heute noch Gültigkeit hat, und sogar noch ein bisschen mehr. Im Maßstab 1:40 fährt heute kaum noch wer, und das Servo-System, mit dessen ungebundenen Spuren die Rennbahn neu erfunden werden sollte, ging als grandioser Flop in die Firmen- und Spielzeuggeschichte ein. Aber alles andere war schon Ende der Sechziger da gewesen. Auch die Racing-Clubs, zu denen sich die Erwachsenen zusammenschlossen. Auch die Meisterschaft, die Carrera 1966 erstmals bundesweit austrug. Und Dinge, die eher in die heutige Zeit der infantilen Verspieltheit passen als in die ernsthafte Konventionalität der Sechziger: Dass das deutsche Fußballidol Fritz Walter als Werbeträger auftrat, mag noch einigermaßen Verständnis gefunden haben. Als jedoch Porsche-Rennleiter Huschke von Hanstein ein Modellauto-Rennen kommentierte und sich damit auch noch auf Schallplatte verewigte, war man wahrscheinlich recht glücklich, dass das Publikum nicht kund tat, was es sich gedacht haben mochte.
In jedem Fall jedoch war eine Begeisterung geweckt, die der Branche in den End-Sechzigern einen wahren Boom bescherte und in den Siebzigern für ein stabiles Wachstum sorgte. Die Bahn zu Hause machte den Erdölschock erträglich und kompensierte den autofreien Tag. Accessoires wie Tribünen, Fernsehturm, Strohballen und Figuren machten das Racing en miniature fast so schön wie im TV. Im Windschatten von Carrera versuchten Firmen wie Fleischmann, Stabo, GAMA und Märklin neuen Grip für ihre Umsätze zu bekommen, wiewohl sie im Rückspiegel des Giganten aus Nürnberg/Fürth nur kleine Pünktchen blieben. Denn schon damals galt, was heute gilt: Speed kills - nämlich nicht so sehr jener der Modellautos, sondern der der Produktion. Allein 1980 bot Carrera mit 130 Modellen eine größere Vielfalt an als die Gesamtschaft der genannten Konkurrenten während ihres ganzen Produktionszeitraums.
Doch die Nachfrage hielt mit dem Angebot nicht Schritt, bei den Spielzeughändlern füllten sich die Lager. Zu spät erkannte Neuhierl, dass Liebhaberei allein Kostenrechnung und Marktforschung nicht ersetzen konnte. Als Pillenknick, kleiner gewordene Wohnungen und die ersten Videospiele für empfindliche Umsatzeinbußen sorgten, scheiterten die Versuche, auf andere Sparten auszuweichen, kläglich. Die Konkurrenz war schneller. Binnen fünf Jahren stürzt Carrera in die Pleite, am 31. Jänner 1985 meldet der Weltmarktführer Konkurs an. Eine Woche später fährt Neuhierl seinen Wagen auf einen Acker und nimmt sich gemeinsam mit seiner 85-jährigen Mutter durch das Einatmen von Abgasen das Leben.
So wie Carrera als Synonym für Autorennbahn steht, so sehr ist ihr Schicksal in der ganzen Tragik des Verlaufs exemplarisch für Aufstieg und Niedergang der gesamten Slotcar-Branche. Wechselnde Investoren führen die Marke weiter und versuchen in einer Zeit, in der die Modellrennbahnen vom Kinderzimmer in den Keller geräumt oder auf Flohmärkten verramscht wurden, neue Nischen zu erschließen. Man liefert Kunststoffteile für die Autoindustrie, weitet den Formenbau aus und produziert das Micky-Maus-Telefon für die deutsche Telecom. Schließlich findet man das Carrera-Logo auf Plüschtieren und Rasierapparaten. Die Autorennbahn ist mega-out, die Kids haben längst anderes Spielzeug gefunden, Virtuelles wird dem Realen vorgezogen.
Irgendwann in den Neunzigerjahren erinnern sich die Dreißigjährigen ihrer Kindheit. Eine unüberschaubare und in ihren Zusammenhängen nicht zu fassende globalisierte Wirtschaft gebiert die Sehnsucht nach Regression. Wieder einmal Kind sein wollen, wie damals zu Weihnachten. Am Boden kniend mit aufgeregtem Blick und noch unsicherem Daumen am Regler den eigenen Ferrari gegen den Porsche vom Papa über den Achter oder das Oval mit Spurwechsler jagen.
Im Gegensatz zu ihren Vätern benötigen die heutigen Väter (sofern sie welche sind) ihre Kinder nicht mehr dafür, um ihnen vorgeblich Sachen kaufen zu können, die tatsächlich für sie selbst gedacht sind. Ohne Genierer stehen ausgewachsene Mannsbilder in Zigmeter langen Hallen oder mindestens Dachböden, beziehungsweise Keller füllenden Bahnen und lassen ihre - je nach Maßstab - Zündholzschachtel oder zwei Zigarettenpackerln kleinen Kunststoffautos mit bis zu 70 km/h über die Bahn brausen. Möglicherweise auf einer Carrera, die - mittlerweile unter der Führung eines Österreichers - recht erfolgreich am Slotcar-Revival teilhat. Möglicherweise aber auf einer Ninco, einer Tyco oder Fly, deren Wagen in puncto Originaltreue fast an Standmodelle heranreichen. Möglicherweise aber auch auf einer hochwertigen Holzbahn, wie sie da und dort in einem Slotcar-Racingcenter steht und eine Nische des Zeitgeists ausfüllt.
Ob Plafit-Chassis oder Lexan-Karosserie ist Geschmackssache, ob aus dem Geschäft oder Eigenbau eine Frage des Könnens. Das Expertentum, in dem die Laien und in der Regel die Ehefrauen eine Spinnerei vermuten, beginnt bei den Kleinigkeiten, die große Wirkung haben können: Bereifung (Moosgummi!), Zusatzgewicht zwecks besserer Straßenlage (beginnt ab dem Gewicht einer mittelgroßen Mutter), geändertes Antriebsritzel (wenn die Verzahnung etwas ausgeschlagen ist oder nach einer anderen Übersetzung gesucht wird). Wer sich für einen Profi hält, wickelt den Motor selber: Dünner Draht und viele Wicklungen für mehr High-Speed, dicker Draht und wenige Wicklungen für mehr Drehmoment.
... Fortsetzung folgt ...